Fürther Hauptbahnhof – Jüdisches Bürgertum & Kriegsbegeisterung

Hauptbahnhof heute
FÜRTHER HAUPTBAHNHOF HEUTE (→BILDNACHWEIS)
Hauptbahnhof 1905
FÜRTHER HAUPTBAHNHOF 1905 NOCH VOR DEM UMBAU (→BILDNACHWEIS)

1864 erbaut und erst 1914 noch erweitert, war der Fürther Hauptbahnhof am Bahnhofplatz 9 der wichtigste Verkehrsknotenpunkt für die rasant wachsende Industriestadt Fürth zu Beginn des 20. Jahrhunderts. Auch der Bahnhofsvorplatz zeugt teilweise heute noch von dem damaligen Wohlstand, zu dem vor allem auch die jüdischen Fürther maßgeblich beitrugen. In der Mitte des Bahnhofsplatzes befindet sich der imposante Centaurenbrunnen, der zu den Wahrzeichen der Stadt Fürth zählt. Er geht zurück auf eine Stiftung der beiden jüdischen Fürther Joseph Pfeifer Morgenstern und Dr. Wilhelm Königswarter (1809 – 1887), die der Stadt Fürth jeweils 6.000 Mark „zur Errichtung eines schönen öffentlichen Springbrunnens“ überließen, damit „Fürth eine Verschönerung zu Teile werden kann, deren sich gar viele Städte Deutschlands, von geringerer Bedeutung und Größe als der Fürths, zu erfreuen haben.

Gleich rechts neben dem Bahnhof und der Hauptpost steht außerdem das ehemalige Wohn- und Geschäftshaus der Familie von Max Holzinger. Gegenüber wohnte ab 1906 Gustav Löwensohn zusammen mit seiner Familie in einem repräsentativen Appartement am Bahnhofplatz 8, bevor er mit dem Bau der Villa in der Forsthausstraße 43 die Wohnung in großzügige Büroräume für sich umwandelte. Auch die heute nicht mehr erhaltene Villa am Bahnhofplatz 6 befand sich in jüdischem Besitz. Sie gehörte dem Fürther Bankier Isaak Stamm (1851 – 1941), der neben seiner Wohnung bis 1925 auch den Sitz der Privatbank J. Stamm hier hatte. Am 17. Juli 1941 nahm er sich, um der drohenden Deportation zu entgehen, als 91-Jähriger im Jüdischen Krankenhaus mit einer Überdosis an Schlafmitteln das Leben.

Villa Sahlmann
VILLA SAHLMANN UM 1907 (→BILDNACHWEIS)

Direkt neben dem Haus von Isaak Stamm stand bis zum ihrem Abriss 1983 die prächtige Villa Sahlmann. Das spätklassizistische Gebäude war 1867 für den jüdischen Magistratsrat und Kommerzienrat Anton Sahlmann (1834 – 1909) errichtet worden, der mit dem Hopfenhandel ein großes Vermögen gemacht hatte. Als 1906 zur Eröffnung des Berolzheimerianums und zur Feier der 100-jährigen Zugehörigkeit Fürths zu Bayern auch der bayerische Prinz und spätere König Ludwig III. kam, wohnte dieser nicht etwa beim Bürgermeister Theodor Kutzer (1864 – 1948) oder in einem Hotel, sondern in der Villa Sahlmann, was wohl ein bezeichnendes Beispiel für die Bedeutung der jüdischen Bevölkerung in Fürth darstellt. 4 Anton Sahlmanns Frau Marie schrieb in einem Brief an ihren Sohn Paul über den Abend:

„Unser Fest ist glänzend verlaufen. Die Wohnung fand Prinz Ludwig ideal, das Diner exquisit, das Bett vorzüglich. Eingeladen waren der Erzbischof von Bamberg, der Regierungspräsident, der Bezirksamtmann, Generalmajor N., Dr. von Ehrung (ein Erlanger Universitätsprofessor), der Landgerichtspräsident, Bürgermeister Dr. Kutzer, der Vorsitzende des Gemeinderats, Rabbiner Dr. Neubürger. Nachdem ich den hohen Herrn begrüßt hatte, sprach er einige huldvolle Worte, reichte mir den Arm und führte mich in den gelben Salon. Dann gingen wir zu den neu hergerichteten Parterreräumen, wo sich die übrigen Herren versammelt hatten. Alle waren von hervorragender Liebenswürdigkeit, besonders der Erzbischof und der Regierungspräsident. Auf Anordnung des Hofmarschalls waren alle in Gala erschienen… Prinz Ludwig reichte mir den Arm und führte mich zu Tisch. Das Diner verlief animiert. Ich war gar nicht befangen und unterhielt mich viel mit dem Prinzen. Dann fuhren wir mit der Hofequipage zum Theater. Ich saß in der Bürgermeisterloge… Unser Haus sah feenhaft aus. Über dem Haus strahlte im elektrischen Licht weithin sichtbar eine Krone. An den Fenstern waren Tannen- und Laubgirlanden von Goldschlei fen festgehalten. Zu müde mehr zu schreiben – In treuer Liebe, Mutter“

Spätestens während der Reichsprogromnacht am 9. November 1938 wurde die Villa von den Nationalsozialisten konfisziert und später zur Festsetzung jüdischer Mitbürger genutzt, bevor diese oft weiter ins Ghetto Izbica deportiert wurden. Auch Anton Sahlmanns Sohn Paul (1884 – 1942) wurde nach einem etwa vierwöchigen Aufenthalt im Konzentrationslager Dachau und mehreren Versuchen nach Palästina auszuwandern in Izbica ein Opfer der Shoah. Auch er war während des Ersten Weltkriegs von dem Kriegstaumel erfasst worden und zog begeistert in den Krieg.

So steht der Hauptbahnhof wohl wie kein anderes Gebäude in Fürth für die Kriegsbegeisterung zu Beginn des Ersten Weltkriegs, die besonders die jüdische Bevölkerung erfasste. Der Central-Verein deutscher Staatsbürger jüdischen Glaubens (CV) veröffentlichte am 1. August 1914 den patriotischen Aufruf:

„An die deutschen Juden! In schicksalsernster Stunde ruft das Vaterland seine Söhne unter die Fahnen. Dass jeder deutsche Jude zu den Opfern an Gut und Blut bereit ist, die die Pflicht erheischt, ist selbstverständlich. Glaubensgenossen! Wir rufen Euch auf, über das Maß der Pflicht hinaus Eure Kräfte dem Vaterlande zu widmen! Eilet freiwillig zu den Fahnen! Ihr alle – Männer und Frauen – stellet Euch durch persönliche Hilfeleistung jeder Art und durch Vergabe von Geld und Gut in den Dienst des Vaterlandes!“

 

Stadtarchiv Fürth - P 149
JUBELNDE MENSCHENMENGEN BEI DER VERABSCHIEDUNG DER SOLDATEN IM AUGUST 1914 (STADTARCHIV FÜRTH – P 149)

 

Besonders auch die jüdische Bevölkerung Fürths fühlte sich davon angesprochen. So war nicht nur die assimilierte Schicht des jüdischen Bürgertums voller Kriegsbegeisterung, auch zahlreiche orthodoxe Juden russischer Staatsangehörigkeit, die im liberalen Deutschland Schutz suchten, solidarisierten sich. Für das Hilfskomitee der städtischen Kriegsfürsorge spendeten sie Ende August eine Summe von 100 Mark. Dieser Beitrag ist umso bemerkenswerter, da das Leben der russischen Juden oft von großer Armut geprägt war, sodass sie meist selbst auf Spenden angewiesen waren. Um möglichen Anfeindungen als russische Feinde zuvorzukommen, veröffentlichten sich gleichzeitig folgende patriotische Stellungnahme:

„Wir fühlen uns dem gesamten deutschen Staat, dem Bayernlande und ganz besonders der Stadt Fürth, ihrer verehrlichen Bürgerschaft und der hochwohllöblichen Verwaltung zu tiefsinnigstem Dank verpflichtet. Was unser Geburtsland bis auf den heutigen Tag in brutalster Weise versagte, fanden wir hier: Freiheit und Menschenrechte! … Unser Heimatland ist das klassische Land der Pogrome und Judenhetzen; … Darum fordern wir nicht nur unsere russischen, sondern auch die deutschen Glaubensbrüder auf: Tut Eure Pflicht und helft der Wahrheit und Gerechtigkeit, die in deutscher Art und deutschem Wesen verkörpert sind, den Sieg erringen, denn es gilt den Sieg deutscher Kultur über russische Barbarei, und für uns Juden gilt es, den Glaubensbrüdern im Osten eine neue bessere Zeit vorzubereiten, wenn das Schwert rächender Vergeltung seine Arbeit vollbracht hat. – Gott schütze das deutsche Land und segne seine Waffen!“

Viele jüdische Fürther sahen den Krieg als Chance endgültig mit den alten Vorurteilen abschließen zu können und hofften endlich als vollwertige Deutsche angesehen zu werden. Zahlreiche junge Männer meldeten sich in Fürth, wie im Aufruf des Central-Vereins gefordert, freiwillig zum Kriegsdienst. Robert Löwensohn, der begeistert vom Ausbruch des Krieges war, kehrte mit einem der letzten Passagierschiffe von seinem London-Aufenthalt nach Deutschland zurück, wo er sich sofort bei der 3. bayerischen Train-Abteilung in Fürth freiwillig meldete. Max Holziger, dem die Überfahrt bereits verboten worden war, konnte nur durch eine List auf einen Kohlendampfer kommen, um so nach zurückkehren zu können.

Manfred Bendit
MANFRED BENDIT IN UNIFORM MIT SEINEN SCHWESTERN HILDE UND BETTINA (→BILDNACHWEIS)

Zu den Jüngsten der jüdischen Soldaten, die sich freiwillig gemeldet hatten, zählte Manfred Bendit. Am 25. Dezember 1897 als Sohn des Zigarrenhändlers Justus Bendit und seiner Frau Klara, geb. Levy, in Fürth geboren, meldete er sich mit gerade einmal 16 Jahren freiwillig zum Kriegsdienst beim 21. bayerischen Infanterie-Regiment. Nach seiner dortigen Grundausbildung beim II. Rekruten-Depot wurde er bereits am 29. Oktober als Teil der 3. Kompanie des Ersatz-Bataillons des Regiments an die französische Westfront. Dort nahm er an den Kämpfen um das Erdwerk von Bois Brûlé in der nordfranzösischen Gemeinde Apremont-la-Forêt teil. Französische wie deutsche Soldaten, die später auch in der Schlacht um Verdun eingesetzt waren, schilderten nach dem Krieg gleichermaßen, dass die Strapazen und die Härte der Kämpfe im Bois Brûlé von September 1914 bis Februar 1915 ungleich schlimmer waren als alles vor Verdun Erlebte. Vermutlich für seine Verdienste während diesen Gefechten erhielt er am 22. November das Eiserne Kreuz II. Klasse. Damit war er vermutlich der jüngste Träger dieser Auszeichnung im gesamten Deutschen Kaiserreich.

 


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